Riskantes Geschäft

(Stern / von Matthias Schepp)

Japan ist so besessen von Klos wie Brasilien von Fußball Asien. Korrespondent Matthias Schepp über die Tücken der die ihn ratlos machten – und nass

Der Kulturschock ereilte mich am japanischen Nationalfeiertag – auf einer Toilette. Freunde nahmen mich mit zu einer Party im wohlhabenden Jingumae-Viertel von Tokio. Eigentlich hatte ich bis dahin alles richtig gemacht: Ich trug, weil Japaner schlecht angezogene Leute verachten, einen 900 Euro teuren Anzug in Anthrazit und dazu nagelneue Socken, die mindestens 7000 Laufstunden von den ersten Löchern entfernt waren. Natürlich hatte ich meine Füße zuvor 30 Minuten in ein Lavendel-Duftbad eingelegt, um nicht den geringsten Schweißgeruch aufkommen zu lassen. Im sauberkeitsbesessenen Japan bleiben die Straßenschuhe am Wohnungseingang zurück. Besucher schlüpfen in Hausschuhe oder laufen in Strümpfen umher. Für mich würde es keine Slipper geben. Japanische Männer sind im Schnitt 1,67 groß. Ich messe 1,95 Meter und habe Schuhgröße 45. Von früheren Besuchen im Land der aufgehenden Sonne wusste ich, dass eine ausgestreckte Hand mich sofort als Tölpel entlarven würde. Also verbeugte ich mich zur Begrüßung und überreichte nach Landessitte meine Visitenkarte mit beiden Händen. Nach drei Asahi-Bieren, zwei Dutzend Sushi-Häppchen und einer Handvoll frittiertem Gemüse drangtees mich zur Toilette.

IN DER ERINNERUNG …

schien es mir, als hätte der eine oder andere bereits da schadenfroh in sich hineingegrinst. Die Toilette hatte nur eine entfernte Ähnlichkeit mit einem deutschen Abort. Es gab eine Kloschüssel, und sie war weiß. Rechts davon aber, eingelassen in die Wand, erspähte ich ein Schaltpult mit zwölf Knöpfen. Nun bin ich schon mit der Fernbedienung meines TVs überfordert – ein japanisches Gerät übrigens, aber wenigstens ist die Anleitung auf Deutsch. Am Toiletten-Paneel in Tokio prangten fremde Schriftzeichen. Ich setzte mich. Die Klobrille war angenehm warm. Jemand musste sie während einer langen Sitzung vorgewärmt haben. Doch dann wurde mir klar: Sie war beheizt. Natürlich, was sonst – in einem Land, das selbst fahrende Staubsauger entwickelt, Mobiltelefone mit integrierten Kameras produziert und Forscher daran arbeiten lässt, Kakerlaken mit Minikameras durch enge Rohre zu schicken, um Schadstellen zu entdecken.

NEUGIERIG GEWORDEN …

begann ich, an den anderen Knöpfen herumzuspielen, als plötzlich ein kühler Wasserstrahl mein Hinterteil traf. Vergebens suchte ich nach der Stopptaste. Das Wasser verursachte ein unangenehmes Kitzeln, das langsam unerträglich wurde. Ich sprang auf. Nun spritzte der Strahl aus dem Klosett auf meine Hose und den Zimmerboden. Nach einer Weile fand ich den Stoppknopf, wischte mit altmodischem Toilettenpapier, ja das gab es hier trotzdem, das Wasser vom Boden und nahm einen zweiten Anlauf – fest entschlossen, mich nun auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dann suchte ich nach der Spülung. Keiner der zwölf Knöpfe passte, stattdessen ging ein Ventilator los, der in der Klosettschüssel angebracht war. Sein Hersteller Matsushita rühmt sich, 99 Prozent der „belasteten Luft“ durch ein kompliziertes System von Luftumwalzern und Filtern elimieren zu können.

Glückwunsch. Beruhigender indes wäre es gewesen, endlich die Spülfunktion zu finden. Schon sah ich mich zum Gespött aller Partygäste werden, hörte das Getuschel über den linkischen Gaijin, den Fremden aus Deutschland, diesem eigenartigen Land, das Mercedes-Limousinen baut, toilettentechnisch aber in der Steinzeit lebt. In Amerika würden die Ingenieure, Physiker und Chemiker bei der Nasa arbeiten, in Deutschland Autos entwickeln. In Japan erfinden sie Klos. Darunter solche, die binnen Minuten Diabetes, Leberschäden und innere Blutungen diagnostizieren. Oder schokoladentafelgroße und beheizbare Po-Waschanlagen zum Mitführen. 200 000 davon verkaufte Toto, ein anderer Toiletten-Großspezialist, in den vergangenen beiden Jahren. Die Forscher haben sich auch den Spülungs-Geräusch-Imitationsknopf ausgedacht, der gern von Frauen betätigt wird, die nicht wollen, dass der Gatte oder die Kinder Zeuge ihrer geräuschvollen Anstrengungen werden. In Japans engen Wohnungen sind die Wände dünn oder aus elegant über Holzstreben gespanntem Papier.

Japan ist so besessen von Toiletten wie Brasilien vom Fußball und Russland vom Wodka. Es gibt Stadtpläne mit dem schönen Namen »Tokios Hintern-Himmel“, die verraten, welche Hotels, Shops und Restaurants die besten WCs bieten. Der rotierende Strahl der Waschfunktion soll auch gegen Hämorriden helfen. Ärzte empfehlen die Klos mit eingebauter Anus-Wasser-Massage zudem gegen Verstopfung. Nach vier Gin-Tonics gestand mir Herr Sonobe, dass er dabei auch eine gewisse sexuelle Erregung verspüre. In der Cocktailbar rieselte derweil ein Tschaikowsky-Klavierkonzert aus den Deckenlautsprechern. Die Gäste trugen Schwarz, Armani und Yamamoto. Ein junger Broker stolzierte in einer Jeans mit aufgenähten Hintertaschen aus Schlangenleder umher. Ich kalkulierte, ob ich meinen alten Jeep würde verkaufen müssen, um hier einen Drink zu bezahlen. Mit noch größerem Schrecken malte ich mir aus, welch eine Toilette diesen extravaganten Laden zieren musste. Ich war sicher, das Funktionspult würde an die Schaltzentrale eines Atomkraftwerkes erinnern oder zumindest an das Cockpit einer Boeing. So war es. Schnell registrierte ich: doppelt so großes Paneel wie gestern abend, 19 Hauptfunktionstasten, sieben Knöpfe zur Feinregulierung der Klositztemperatur, der Dicke und Wärme diverser Wasserstrahlen, der Wärme und Stärke des Föns. Macht multipliziert 133 verschiedene Arten der Toilettenerfahrung.

GEDÄMPFTES LICHT …

empfing mich, das Waschbecken war aus italienischem Marmor, und in der Ecke stand ein Orchideen-Ikebana. In einem Anfall von Gedankenlosigkeit bückte ich mich, um den Klodeckel anzuheben – da schwebte er mir wie von Geisterhand bewegt entgegen. Vermutlich rettete mich nur meine Körpergröße vor einem Schlag gegen das Kinn. Ich hätte wissen müssen, dass diese Toilette vollautomatisch funktioniert. Im Inneren der Kloschüssel sorgten Lampen für ein bizarres, hellblaues Licht. Akiko, meine Übersetzerin, erklärte mir später, wie unangenehm das grelle Licht einer 100-Watt-Birne in den Augen schmerzen könne, wenn man nachts verschlafen aufstehe. Zudem fiele den Männern das Zielen leichter. „Das ist bei euch in Deutschland doch ein ungelöstes Problem“, fügte sie hinzu. Sie hatte fünf Monate in Freiburg gelebt und schwärmte für den Kurort Bad Krotzingen, mit Ausnahme der Toiletten natürlich.

Langsam bekam ich meine Panik in den Griff. Bei dieser Toilette würde auch die Spülung, da war ich mir sicher, automatisch durch einen Sensor in Gang gesetzt, sobald ich mich vom Sitz erhob. Ich war beruhigt und genoss die beheizte Klobrille. Dann aber machte ich doch noch einen letzten, ärgerlichen Fehler beim Waschen des Allerwertesten. Ein warmer Wasserstrahl an der falschen Stelle machte mir klar, dass ich die Bidet-Funktion getroffen hatte. Ich beschloss, an die Forschungsabteilungen der japanischen Toilettenmacher zu schreiben und vorzuschlagen, einen weiteren Sensor einzubauen – einen, der Männer von Frauen unterscheidet. Das kann doch nicht so schwer sein.